FACHBEREICH GESCHICHTE, ETHIK UND THEORIE DER MEDIZIN

Tagungsbericht

2. Ethiktag

 

„Zwischen Fürsorge, Zwang und Selbstbestimmung“

2. Ethiktag der Universitätsmedizin Magdeburg

 

Am Freitag, den 14. Juni 2019, fand auf dem Campus der Medizinischen Fakultät der zweite Ethiktag der Universitätsmedizin Magdeburg statt.

 

Was sollen wir tun? Die Auseinandersetzung mit dieser Frage, die moralische Aspekte berührt, wird für Beschäftigte im Gesundheitswesen zunehmend dringender. Ein Grund hierfür ist die gewachsene Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Patientinnen und Patienten. Insbesondere dann, wenn der geäußerte Patientenwille mit der gebotenen ärztlichen und pflegerischen Fürsorge scheinbar in Konflikt gerät oder diesem Willen aufgrund örtlicher Gegebenheiten und ökonomischer Begrenzungen nicht entsprochen werden kann, ist ein lautes Nachdenken und Austauschen aller an der Therapie Beteiligten darüber notwendig und hilfreich. Es schafft Transparenz, Sicherheit und zeigt Alternativen auf.

 

Im Rahmen des zweiten Ethiktages der Universitätsmedizin Magdeburg lud das jüngst gegründete Klinische Ethikkomitee (KEK) Ärztinnen, Ärzte, Pflegende sowie alle interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hierzu ein. Die einführenden Worte sprach Prof. Dr. Eva Brinkschulte (Institut für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin), Vorsitzende des KEKs. Sie umriss Zielsetzung, Zusammensetzung und Aufgaben des Ethikkomitees. Anna Urbach berichtete aus der KEK-Geschäftsstelle über bereits erfolgte Maßnahmen und Initiativen, so auch über die Einrichtung von themenspezifischen Arbeitsgruppen (AGs). Die AGs sind ebenso wie das KEK multiprofessionell zusammengesetzt und beschäftigen sich mit der Entwicklung von Handlungsempfehlungen bzw. Leitlinien für die Universitätsmedizin Magdeburg mit der Berücksichtigung ethischer Fragestellungen. Zur Arbeitsweise der AGs gehören Bestandsaufnahmen und Bedarfsumfragen, die Einladung von internen und externen Sachverständigen sowie die Entwicklung von Fortbildungs- und Lehrformaten.

 

Das Motto des Ethiktages –  „Zwischen Fürsorge, Zwang und Selbstbestimmung“ – wurde aus den Themen der gegründeten Arbeitsgruppen heraus entwickelt. Hierzu waren zwei externe Referenten zum Vortrag geladen. Thomas Montag referierte unter dem Titel „Einem jeden von uns seinen eigenen Tod?“, wie Sterbebegleitung im Krankenhaus gelingen kann. Montag ist ausgebildeter Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivtherapie und Palliative-Care-Trainer. Seine Erfahrungen in der Sterbebegleitung hat er an verschiedenen Institutionen sammeln können. So baute er in Erfurt die erste Palliativstation auf und entwickelte Weiterbildungsstrukturen in Palliative Care für Pflegende und Ärzte in Thüringen. Nach langjähriger Pflegeteamleitung am Zentrum für Palliativmedizin der Uniklinik Köln ist er derzeit für die konzeptionelle Entwicklung der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) zuständig. Weiter ist Montag Sprecher der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). In seinem Vortrag berichtete Montag, dass aktuell nahezu die Hälfte aller sterbenden Menschen in Deutschland sich beim Eintritt des Todes im Krankenhaus befindet. Daher gelte es zunächst, das Krankenhaus als Sterbeort zu akzeptieren. So ist es auch in der 2016 aktualisierten „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ formuliert worden. Die aktuelle S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ fordert Einrichtungen dementsprechend auf, eine hauseigene und kultursensible Abschieds- und Trauerkultur zu entwickeln und zu etablieren. Weiterhin sollte die Einschätzung, ob die Sterbephase eines Patienten begonnen habe, im Rahmen einer interprofessionellen Diskussion erfolgen. Hierbei könne – so die Erfahrung des Referenten – eine „Ethikvisite“ ein hilfreiches Instrument sein, um im Ärzte- und Pflege-Team einen Konsens über das weitere Vorgehen zu erreichen. Weiterhin bräuchten Patienten, Angehörige und Mitarbeiter für ein würdevolles Abschiednehmen „sterbefreundliche“ Rahmenbedingungen. Hierzu zählten eine angemessene Personal- und Raumausstattung, aber auch Qualifizierungsmaßnahmen und Handlungsspielräume für das Team. Eine Palliativstation und ein Palliativmedizinischer Dienst könnten hierzu wertvolle Impulse und Kenntnisse liefern. Zudem müsse die Vernetzung mit ambulanten Strukturen, wie ambulanten Hospizdiensten, SAPV-Teams und Trauerbegleitungsangeboten gestärkt werden. Denn: „Was immer in den letzten Stunden geschieht, kann viele Wunden heilen, aber auch in unerträglicher Erinnerung verbleiben“, so die Begründerin der modernen Hospizbewegung, Cicely Saunders (1918–2005).

 

 

Der zweite Referent des Ethiktages war Christian Köbke. Köbke ist examinierter Altenpfleger, Pflegewissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft (IPW) an der Universität Bielefeld. Am Krankenhaus Rummelsberg (Sana Kliniken AG) war Köbke maßgeblich an der Erarbeitung und Implementierung von Konzepten zur Vermeidung von freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) beteiligt – und dies mit Erfolg: Rummelsberg wurde als erstes Krankenhaus mit dem „Werdenfelser Weg“ ausgezeichnet. Hierbei handelt es sich um einen verfahrensrechtlichen Ansatz im Rahmen des geltenden Betreuungsrechts, um die Anwendung von Fixierungen und FEM wie Medikamenteneinsatz, Bauchgurte, Bettgitter, Trickverschlüsse an Türen und Vorsatztische zu reduzieren. In seinem Vortrag „Wohltätiger Zwang?!“ setzte sich Köbke kritisch mit dem Einsatz von FEM auseinander. Seine Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Anwendung von FEM vermutlich stärker von der inneren Haltung der Pflegenden beispielsweise gegenüber Demenzbetroffenen abhängig sei, als von Aspekten wie Personalquote und Einrichtungsgröße. Dabei zeigte Köbke Wege zum sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit FME auf. Ähnlich wie bei der Sterbebegleitung gelte es auch hier, eine hauseigene Kultur zum Umgang mit FME zu etablieren und die Vorgehensweise zu vereinheitlichen. Pflegende könnten als sogenannte Verfahrenspfleger*innen ausgebildet und als Multiplikator*innen eingesetzt werden. Wichtig seien insbesondere die Kenntnis der aktuellen Rechtslage und das Kennenlernen von alternativen Praktiken. Somit könnten FEM auf ein Mindestmaß reduziert werden.

 

Am Nachmittag wurden die Vorträge in parallel laufenden Gesprächsrunden mit den Referenten vertieft. Auch viele Interessierte von anderen Institutionen aus Magdeburg und Umgebung nahmen an dem Programm teil. Der nächste Ethiktag findet am 15. November 2019 statt und thematisiert gelebte Ethik im OP und gemeinsame Entscheidungsfindung in der operativen Intensivmedizin. Zudem lädt das KEK am 11. September 2019 zu einer Fortbildung zu Ernährung und Medikamenten im Alter ein. Diese richtet sich sowohl an Beschäftigte im Gesundheitswesen als auch an Betroffene und deren Angehörige. 

 

Die Videoaufzeichnungen der Vorträge des zweiten Ethiktages können auf der Homepage der Universitätsmedizin Magdeburg abgerufen werden (www.med.uni-magdeburg.de > Zentrale Einrichtungen > Service > Klinisches Ethikkomitee).

 

Korrespondenzadresse:

 

Prof. Dr. Eva Brinkschulte

Anna Urbach

Klinisches Ethikkomitee (KEK)

c/o Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Medizinische Fakultät

Leipziger Str. 44

39120 Magdeburg

0391/6724340

 

Foto: Franziska Gerstberger

Bildunterschrift: Von rechts nach links: Prof. Dr. Eva Brinkschulte (Vorsitz KEK) mit den Referenten Thomas Montag (Köln) und Christian Köbke (Bielefeld) und der KEK-Geschäftsstellenleiterin Anna Urbach.

Letzte Änderung: 01.08.2019 - Ansprechpartner:

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